„Es geht um gegenseitiges Verständnis, Geschlechtergleichheit und Inklusion“

Interview mit Can Saat – Business Development bei Right To Play Deutschland – über seine Arbeit bei der internationalen Kinderhilfsorganisation

Unserer früherer Werkstudent Can Saat hat einen ganz besonderen Berufsweg eingeschlagen. Nach seinem Abschluss in Interkulturellem Management ist er bei der renommierten internationalen NGO „Right To Play“ eingestiegen. Er ist in der deutschen Niederlassung für Events und Fundraising zuständig. „Right To Play“ wurde 2000 vom norwegischen Eisschnellläufer und vierfachen Olympia-Goldmedaillengewinner Johann Olav Koss gegründet. Mit Hilfe von Sport und Spielen sollen Kinder in 15 Ländern in Afrika, Asien und dem Nahen Osten wichtiges Wissen und Fähigkeiten erwerben. Die Spiele steigern das Selbstvertrauen, schaffen gleiche Chancen für Mädchen und Jungen und bauen Brücken dort, wo vorher unüberwindbare Differenzen waren.

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Simone Hartmann, Managing Partner bei hartmann consultants, hat mit Can Saat über seine außergewöhnliche Arbeit, die aktuellen Auswirkungen der Corona-Pandemie und seine Motivation gesprochen.

 

Simone Hartmann: Wie wirkt sich die aktuelle Corona-Situation auf die Arbeit von Right To Play aus?

Can Saat: Herausfordernd, wie bei jedem vermutlich. Kurz zum Hintergrund: In Deutschland liegt unser Fokus darauf, Aufmerksamkeit und Gelder für die wichtige Programmarbeit unserer Kollegen vor Ort zu generieren. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise tangieren unsere Fundraisingaktivitäten daher unmittelbar – mit Events können wir derzeit nicht planen und auch die Ansprache von Unternehmen ist durch die Krise deutlich schwieriger geworden. Wir müssen also unsere Maßnahmen stärker fokussieren, um die kontinuierliche Implementierung unserer Programme sicherzustellen – sowohl während der Krise als auch langfristig danach. Und natürlich müssen wir auch unsere Programmarbeit den neuen Gegebenheiten anpassen – Schulschließungen und Social Distancing Maßnahmen machen weite Teile unserer regulären Programmarbeit derzeit unmöglich. Daher sind wir sehr froh darüber, dass insbesondere auch unsere institutionellen Partner, wie Regierungen und große Stiftungen, diese Anpassungen der Programme so flexibel mittragen und unterstützen.

SH: Wie sieht eure Zusammenarbeit mit Regierungen aus?

CS: Die finanzielle Unterstützung durch institutionelle Förderer – das heißt öffentliche Hand und Stiftungen – ist in der Regel zweckgebunden. Darüber hinaus decken die Mittel meist nicht die gesamten Programmkosten ab. Möchte das Auswärtige Amt zum Beispiel ein Bildungsprogramm unterstützen, dann können wir die Gelder wirklich nur für Programme verwenden, die sich darauf beziehen. Aber es gibt auch interessante Konstruktionen: Die kanadische Regierung hat uns zum Beispiel 20 Millionen Dollar für ein Projekt in Mosambik, Ruanda und Ghana zugesichert, allerdings nur, wenn wir zusätzlich vier Millionen Dollar selbst aufbringen. Wir gehen also zu einem potenziellen privaten Spender und sagen ihm: „Hör zu, wenn du einen Dollar spendest, dann wird der verfünffacht!“ So haben wir es in Deutschland geschafft, eine Großspenderin zu gewinnen, die einen immensen Beitrag geleistet hat. Großspender sehen das mehr als Investition in die Gesellschaft als nur als reine Spende und das macht es interessant.

SH: Inwiefern als Investition?

CS: Sie investieren in Ressourcen. Wir bilden ja Lehrer und Coaches aus, die dann wiederum ihr Wissen an Kinder weitergeben. Das heißt wir bauen keine Schule, wir bauen auch keinen Brunnen. Wir haben einen wirkungsorientierten und innovativen, spielbasierten Lernansatz entwickelt, den wir mit unseren Partnern vor Ort teilen. Über allem steht: Kindern, Lehrern und Coaches Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln und das Werkzeug mit an die Hand zu geben, sodass sie selber vor Ort Veränderung schaffen können – kurzum: Hilfe zur Selbsthilfe.

SH: Die ganze Welt fokussiert sich auf Corona und mögliche Impfstoffe. Inwiefern ist das für euch ein Problem? Wie sehr bremst euch der Verlust an Sichtbarkeit?

CS: Wie sehr er uns mittelfristig bremst, kann man jetzt noch nicht abschätzen. Wir haben fünf große Themen: Gesundheit, Bildung, Gender, Equality und Peace sowie psychosoziale Unterstützung. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht momentan, Kinder sicher und gesund durch die Krise zu bekommen. Damit meinen wir ganz konkret: Erstens, Fehlinformationen vor Ort über Covid-19 entgegenzuwirken und die Bedeutung von Hygiene und Social Distancing zu verdeutlichen, zweitens sicherzustellen, dass Kinder weiterhin Zugang zu Bildung haben und auch nach der Krise wieder zurück in die Schule gehen können, etwa indem wir Kinderarbeit und Kinderehen verhindern, und drittens Kindern psychosoziale Unterstützung zu ermöglichen.

SH:  Wenn jetzt Schulen geschlossen werden in Afrika, wie laufen eure Programme ab. Virtuell, übers Internet?

CS: Nein, diese Infrastruktur gibt es vor Ort kaum. Wir sind ja teilweise in sehr ländlichen Regionen aktiv. Aber mittlerweile besitzt zumindest jeder ein Handy oder kennt zumindest jemanden, der eins besitzt, sodass wir die Kinder so erreichen können. Wir verschicken die Spielanleitungen per SMS. Und auch Unterricht über Radio und Fernsehen findet statt. Unsere größte Herausforderung ist aber nicht die Technik, sondern erst einmal, die Community generell für unsere Bildungsprogramme zu begeistern. Die Kinder sind ja oft in die Haushalts- und Familienarbeiten eingebunden.

SH: Wie geht ihr da vor?

CS: Indem wir die wirklichen Entscheider ausmachen und mit ihnen sprechen – mancherorts sind das zum Beispiel die Stammesführer. In Pakistan etwa haben wir es geschafft, in Karatschi eine Frauenfußballliga aufzubauen, was ohne die Imame niemals möglich gewesen wäre. Es reicht nicht, vordergründig die Kids zu begeistern, denn ohne Erlaubnis der Eltern geht gar nichts. Und für deren Einstellung ist es enorm wichtig, dass ein angesehener Meinungsführer uns unterstützt.

SH: Da ist also erst mal Lobbyarbeit und Networking angesagt.

CS: Ja genau. Die höchste Hierarchieebene, die wir erreichen wollen, ist das jeweilige Bildungsministerium. So können wir die größtmögliche Wirkung erzielen. In Thailand, Burundi, Ruanda und Tansania arbeiten wir bereits mit diesen zusammen. Wir bilden die Trainer der Lehrer mit aus, mit dem Effekt, dass die spielbasierten Lernmethoden von Right To Play im offiziellen Lehrplan verankert werden.

SH: Diese Qualitätsstandards von Right To Play wurden wahrscheinlich sehr stark durch euren Gründer Johann Olav Koss geprägt, oder?

CS: Ja, absolut. Johann war ja selbst Leistungssportler. Seine Bekanntheit als viermaliger Olympiasieger hat er dann dafür genutzt, um mit Sport richtig was zu bewegen. Als Pionier im Bereich Spiel und Sport für Entwicklung ist der Sport ein zentraler Bestandteil unserer DNA und auch ein wichtiger Teil unserer Arbeit vor Ort. Durch 20 Jahre Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit wissen wir, dass unser Ansatz wirkt und wie wir je nach Kontext die verschiedenen Formen von Spiel und Sport am besten einsetzen können – z.B. wann es am meisten Sinn macht, Fußball als Mittel zum Lernen zu nutzen.

SH: Bei Fußball ist es ja relativ einfach, es geht um Teamfähigkeit, es geht darum, dass man andere auch gelten lässt, dass der Einzelspieler es nicht allein schaffen kann. Sind das die Botschaften?

CS: Teamfähigkeit ist sicherlich eine der Botschaften. Gleichzeitig kann es aber auch, je nach Fokus des Programms, gezielt um Botschaften zu Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion oder Frieden gehen.

SH: Kannst Du uns ein weiteres Beispiel geben, wie Ihr Spiel und Sport nutzt?

CS: Na klar, ein sehr eindrückliches Beispiel aus Uganda: Dort werden von Hilfsorganisationen Moskitonetze zum Schutz vor Malaria verteilt. Doch wir haben Statistiken, die sagen, dass die Menschen diese Netze zu einem Großteil anders nutzen, etwa um Nahrungsmittel einzuwickeln. Wir setzen daher den Fokus darauf, dass Kinder lernen, dass die Netze dafür gedacht sind, Menschen beim Schlafen vor Stichen zu schützen. Das gelingt zum Beispiel sehr wirksam über Fangspiele. Durch die Spielformen und die anschließenden Diskussionen mit von uns ausgebildeten Lehrern oder Coaches, können Kinder diese wichtigen Themen verstehen. Und ganz wichtig: Die Kinder tragen diese Informationen dann in ihre Familien und Communities.

„Hier lerne ich vieles, was ich in der Wirtschaft nicht lernen würde“

SH: Was war damals deine Motivation, bei Right To Play zu starten und nicht in die Wirtschaft zu gehen? Das Geld war es wohl sicher nicht.

CS: Ja, das stimmt, der finanzielle Anreiz war es auf jeden Fall nicht. Ich habe Interkulturelles Management studiert. Ich bin selbst halb Türke und halb Deutscher und bin zweisprachig und bikulturell aufgewachsen. Deswegen haben mich kulturelle Fragen schon immer unterbewusst beschäftigt. Im Rahmen des Studiums habe ich viele interessante Sachen gelernt und nach wie vor begeistern mich Fragen, wie und warum Menschen und Gruppen so miteinander umgehen, wie sie es tun. Das passt natürlich sehr gut zu meiner Tätigkeit bei Right To Play. Man braucht ein hohes Maß an Soft Skills und Einfühlungsvermögen.

SH: Könntest du Deinen Karriereweg nochmals kurz zusammenfassen?

CS: Während des Studiums habe ich ja hier bei hartmann consultants gearbeitet und hatte hier  eine sehr gute Zeit. Aufgrund von Erfahrungen und Erzählungen von zwei engen Freunden habe ich aber den Wunsch entwickelt, noch selbst Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit zu sammeln. Und so bin ich dann bei Right To Play gelandet.

SH: Was reizt Dich an der Arbeit bei Right To Play?

CS: Ich hatte mich vorher – bis auf Erzählungen von Erfahrungen meiner Freunde – nie intensiv mit Entwicklungszusammenarbeit auseinandergesetzt. Ich hielt NGOs eher für verstaubt und intransparent. Während eines Praktikums habe ich aber schnell erkannt, dass ich bei Right To Play an einem Ort gelandet bin, der sehr jung und dynamisch ist, wo man die Chance erhält, eigene Ideen umzusetzen. Man ist nicht nur ein kleines Rad wie zum Beispiel in einem Konzern in der freien Wirtschaft.

SH: Klingt nach dem großen Wort „Purpose“…

CS: Genau darum geht es, ja. Die Wirkung der Arbeit, also der Impact, wofür man das macht, ist hier sehr spürbar. Deshalb habe ich auch nach dem Ende des Praktikums pro bono zwei, drei Projekte weiter betreut. Gleichzeitig hatte ich für mich aus der Praktikumszeit unter anderem mitgenommen, auch helfen zu können, wenn ich in der freien Marktwirtschaft tätig bin. Deshalb habe ich im Anschluss den Fokus darauf gelegt gehabt, den Berufseinstieg nach der Uni im Angestelltenverhältnis in der freien Wirtschaft hinzulegen. Während ich mich bereits in laufenden Bewerbungsprozessen befunden habe, änderte sich aber etwas nachdem ich mit Right To Play zum ersten Mal „im Feld“ war…

SH: Im Feld?

CS: Vor Ort im Projekt – bei mir war das in Ghana. Dort die Wirkung unserer Arbeit live mitzuerleben, das hat bei mir sehr viel bewirkt und verändert. Als dann noch Budget für eine neue Stelle frei wurde, merkte ich, dass es sich richtig anfühlt.

SH: Was hast du in Ghana gesehen?

CS: Ich hatte die Möglichkeit zwei unserer Programme zu besuchen: Das erste Programm fördert Straßenkinder in Accra. Hier unterstützen wir die lokale Partnerorganisation Street Children Empowerment Foundation dabei, Straßenkinder zur Teilnahme am Schulunterricht zu bewegen. Als Belohnung dürfen sie dann am Nachmittag zu unseren Programmen kommen. Die Kinder haben oftmals niemanden, der sich mit Ihnen beschäftigt. In dem Programm wird mit ihnen gespielt und nebenbei auch noch Wissen vermittelt. Sie lernen, ihren Namen zu buchstabieren und sie lernen etwas über gesunde Ernährung.
Das zweite Projekt vor Ort ist ein gemischtes Fußballteam aus Jungen und Mädchen – und das mitten im größten muslimischen Slum Westafrikas! Direkt neben einer riesigen Moschee gibt es Fußballfelder. Die Mädchen haben davon erzählt, wie sich ihr Ansehen, ihre Stellung in der Familie und der Gemeinde positiv verändert hat. Das hat bei mir einen gewaltigen Eindruck hinterlassen.

SH: Was lernst du bei Right To Play, was du in der Wirtschaft nicht lernen würdest? Oder nicht lernen könntest?

CS: Vieles! Vor allem den Fokus auf Themen zu behalten, die nicht nur wirtschaftlicher Natur sind. Am Ende wirst du in der Wirtschaft knallhart daran gemessen, welchen Umsatz du machst. Im Non-Profit-Bereich geht es um den Impact, den gesellschaftlichen Nutzen.

SH: Nur lässt sich Impact nicht so leicht als Return on Investment darstellen.

CS: Völlig richtig. Und da unsere Spender oft aus der Wirtschaft kommen, müssen wir deren Sprache sprechen. Wir schreiben daher auch Reportings und liefern zum Beispiel Zahlen, wie viele Kinder wir erreichen, in wie vielen Ländern und Projekten wir aktiv sind.

SH: Wir haben hier bei hartmann consultants viel mit Führungskräften und Entscheidern zu tun. Was können Führungskräfte von Right To Play lernen?

CS: Für uns ist es ein Muss, auch immer an den Mehrwert unserer Kooperationspartner zu denken. Wenn wir Projekte angehen, müssen wir eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten schaffen. Nur einfach nach Spenden oder Sponsoring zu fragen, funktioniert nicht. Es geht um Werte, die wir mit dem karitativen Engagement glaubwürdig untermauern und fördern können.

SH: Wie sieht das konkret aus?

CS: Zum Beispiel haben wir auf der Basis unserer Spielkonzepte ein Workshop-Format entwickelt. Wir gehen damit ein- bis zweimal pro Jahr in Unternehmen, die uns unterstützen, und vermitteln den Angestellten, was Right To Play ist. Unsere Arbeit ist sehr erklärungsbedürftig, aber der Aha-Effekt kommt meist sehr schnell. Denn das Thema Spiel ist positiv besetzt, etwas womit sich viele Unternehmen gerne identifizieren.

SH: Und es kann auch wirtschaftlichen Impact haben, also Business-Erfolg. Was müsste dir ein Arbeitgeber bieten, dass du in die Unternehmenswelt wechselst? Oder ist das für dich keine Option?

CS: Ein Arbeitgeber müsste mir das Gefühl und die Sicherheit vermitteln, dass das Unternehmen selbst gesellschaftlich engagiert ist. Und zwar auf eine authentische Art und Weise. Persönlich ist mir wichtig, mitgestalten zu können. Ich bin überzeugt davon, dass man nur erfolgreich ist, wenn man Spaß an der Arbeit hat.

SH: Letzte Frage, Can: Wenn wir zehn Jahre vorausschauen, was sollte 2030 über Right To Play in den Medien berichtet werden?

CS: In Deutschland sollte Right To Play auf jeden Fall eine Organisation sein, die jeder kennt. Ich hoffe, dass 2030 auch in der Zeitung steht, dass wir jetzt auch in Südamerika aktiv sind, dass wir es geschafft haben, auf die höchste Hierarchieebene, also die Bildungsministerien, im afrikanischen Kontinent vorzudringen und zu wachsen.