Overcome legacy, handle disruption – SHIFT Spring 2022

Schon zum vierten Mal fand die SHIFT-Konferenz statt, denn es herrscht Redebedarf. Nicht nur angesichts der globalen Herausforderungen, die nicht kleiner werden. Hinzu kommen: Eine enorme Erwartungshaltung an Unternehmen, die Verkomplizierung der Märkte, ein immer löchriger werdendes Sozialgeflecht dazu die ungewisse politische Lage. Die SHIFT-Speaker brachten aber nicht nur die vielfältigen Probleme auf den Punkt, sie zeigten auch Lösungsmöglichkeiten auf. Und zugleich blieb auch noch Raum für Zukunftsthemen, die man trotz der sich überschlagenden Nachrichtenlage im Hinterkopf behalten sollte.

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„Man denkt, der Rauch kommt einem aus den Ohren“, sagte Jürgen Alker beim letzten Vortrag am späten Freitagnachmittag. Eine Konferenz, vollgepackt mit Denkanstößen und Innovationen. Zum Auftakt am Donnerstag, den 12. Mai, wurde der gesellschaftspolitische Rahmen gesetzt. Die Pulitzer-gekrönten Investigativ-Journalisten Bastian Obermayer und Frederik Obermaier gewährten spannende Einblicke in den Kampf gegen Korruption und fake news. Sie erklärten auch, warum sie sich mit ihrer neuen Firma, paper trail media, selbstständig gemacht haben: um diese Art von Journalismus unabhängiger zu machen. Anders formuliert: Die Notwendigkeit, mit hoher journalistischer Qualität weiter als „Verteidigungslinie der Demokratie“ agieren zu können, hat ihren Unternehmergeist geweckt.

Auch die Politik steckt in einem Sinneswandel. Diesen Eindruck hat zumindest Bettina Jarasch in einem Online-Streitgespräch hinterlassen. Die Berliner Bürgermeisterin von Bündnis 90/Die Grünen, übrigens die Schwester von SHIFT-Mitorganisator Nick Hartmann, wehrte sich dagegen, als „Marke“ bezeichnet zu werden: „Allein der Titel hat mich schon provoziert“, sagte sie lachend, schließlich habe sich jede noch so charismatische Politikerin an die Parteilinie zu halten.

Jarasch ist überzeugt, dass in der Politik der Ehrliche nicht der Dumme ist, sondern am weitesten kommt. Sich zu verstellen brächte auf Dauer nichts – eine Erkenntnis, die im Laufe der zweitägigen Konferenz auch mit Blick auf Unternehmer und Entscheider zur Sprache kam. Zum Abschluss des ersten Abends schilderte Jarasch noch mit einem vermeintlich abseitigen, aber sehr eindringlichen Beispiel zum Thema Ukrainekrieg, wie schnell sich die Haltung einer Partei in einer Grundsatzfrage ändern kann: Viele syrische Geflüchtete, die 2015 nach Deutschland kamen, hätten bereits hohe Ämter inne. „Sie sind links – aber auch ganz klar dafür, dass man mit Waffen reagieren muss“, erklärt Jarasch. Nach dem Gespräch kündigte sich zwar ein Gewitter an. Doch es blieb noch genug Zeit für ein erstes Get together auf der Terrasse des Hartmann Campus.

Don`t believe the hype? Das „Don’t“ hatte SHIFT-Programmchef Marc Schumacher durchstreichen lassen, angesichts der Zukunftsnachrichten des Trendbüros, die er am Freitagmorgen präsentierte. Schumachers scharfer Blick für die Bedeutsamkeit ausgewählter Nachrichten ließ schnell erahnen, wo künftige Aufgaben warten. 

Die Notwendigkeit, Haltung zu zeigen, auch in politischen Fragen; die Kommunikation bezüglich der back-to-office-policy nach der Pandemie; die generelle Glaubwürdigkeit eines Unternehmens; die immer loser werdende Kundenbindung bei jüngeren Generationen; die Diskrepanz zwischen „Ich will im Internet perfekt bedient werden“ und „ich will aber meine Daten gar nicht rausrücken“, und nicht zuletzt der Wunsch vieler Menschen an die Global Player mitzuhelfen, die Welt zu retten – kurz: Die Anforderungen an Führungspersonen reichen von maximaler Flexibilität bis hin zu maximaler Weitsicht, am besten beides gleichzeitig. 

Bald wurde klar, dass Schumacher mit den angeschnittenen Themen einen roten Faden ausgelegt hatte, der in den weiteren Panels immer wieder aufgegriffen wurde. Als das charismatische Quartett mit Moderatorin Nina Kalmund sowie Judith Dada, Patricia Stangner und Gastgeberin Simone Hartmann zusammensaß, lautete eine Quintessenz: Frauen sollten in der Zukunft mehr Einfluss haben. Nicht nur aus Gründen der Gerechtigkeit, sondern auch der ökonomischen Effizienz: Die Weltbevölkerung verzichte quasi auf 50 Prozent ihres Potenzials, um sich diverser und damit flexibler aufzustellen und innovativer und erfolgreicher zu werden. Deutschland scheint in der Genderfrage deutlich rückständiger zu sein als viele andere Länder, deshalb gebe es in diesem Bereich noch immer viel zu tun. Noch weiter in die Zukunft geblickt machte Judith Dada außerdem klar, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau ohnehin nivelliert wird, je mehr Künstliche Intelligenz und Maschinen die Human-Arbeitskraft ersetzen. 

Doch es gibt sie, die Hoffnungsschimmer, die Mutmacher. Obermaier zum Beispiel findet, es sei beachtenswert, wie investigativer Journalismus auch die Arbeit der Behörden anrege. Oder wenn Bettina Jarasch sagt, dass sie es als „Zeichen der Stärke“ versteht, wenn man die eigenen Ideen infrage stellt und nicht nach Schema F verfährt. Wenn Marc Schumacher erzählt, dass gerade eine Technologie auf den Weg gebracht wird, die schon sehr bald Computer um das Vierhundertfache schneller machen könnte. Oder Wissenschaftler noch zu unseren Lebzeiten eine Lösung finden könnten, um alle Menschen der Welt zu ernähren, dann wirkt alles sehr viel weniger dystopisch. 

Und dann war da ja auch noch Frank Dopheide.

Der aus Düsseldorf zugeschaltete Gründer von human unlimited saß vor einem Bild, das stark an das „Rhinozeros“ von Albrecht Dürer erinnerte. Ein Werk also, das der Künstler nach einer Beschreibung gemalt hatte, ohne jemals ein Rhinozeros gesehen zu haben. Das passt zu Dopheides Appell für mehr Kreativität, mehr Mut zu unkonventionellen Ideen. An Führungspersonen gerichtet plädiert er für einen schärferen Blick auf die Steine, die uns die Geistesgeschichte in den Weg gelegt hat, für einen Ausbruch aus rationalem Einheitsdenken. Es sollte nicht nur eine durchoptimierte Antwort auf die Frage nach dem Wie geben, sondern auch die Frage nach dem „purpose“. Wobei: „Eigentlich ist purpose ein schreckliches Wort“, sagt Dopheide, „wir haben schönere dafür. Eines ist: beseelt sein.“ Denn beseelte Menschen stiften Sinn und begeistern andere. 

Zurzeit lebe man in einer Phase, in der die Wirtschaft gleich mit drei einschneidenden Disruptionen zu kämpfen habe: mit fehlender Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber, mit sinkender Kundenloyalität, und mit einem sich auflösenden gesellschaftliche Goodwill gegenüber Institutionen. Die Lösung: Der eigenen Firma und dem Produkt Sinn geben, ehrlich sein. „Wenn dir die Menschen folgen, folgen die Zahlen“, ist Dopheide überzeugt.

„Die Fragezeichen werden momentan eher größer als kleiner“, sagte Simone Hartmann zum Ende der Konferenz. Doch SHIFT konnte mit dem Schwerpunkt auf soziale und zugleich technische Themen wie Metaverse und NFTs auch Ausrufezeichen setzen und Zukunftsstrategien aufzeigen. Die nächste SHIFT-Konferenz findet im September statt und wird an ihrem integrativen Charakter festhalten.