„Unternehmen brauchen mehr technologie-affine Vorreiter, die die Organisation von innen heraus neu denken”

Mit Burkhard Stuhlemmer bekommt hartmann consultants einen neuen Senior Partner. Nach 40 Jahren in Führungspositionen in der Technologiebranche, bei IBM und Olympus, und in vielen Modefirmen – unter anderem bei Camano, Baldessarini und Tom Tailor – wird der Top-Manager und Business Coach nun die Weiterentwicklung von hartmann consultants mit vorantreiben. Ein Gespräch über Pläne, Herausforderungen und die Krise der mittelständischen Modebranche:

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Herr Stuhlemmer, warum haben Sie sich für den Einstieg bei hartmann consultants entschieden?
Burkhard Stuhlemmer: Ich kenne Nick seit über 20 Jahren und habe ihn und später auch Simone lange als Klient und Kandidat begleitet. Nach spannenden Jahren als Unternehmer, Manager und Berater für Systemeinführungen in der Modebranche wollte ich nochmals neue Wege gehen. Ich habe mir einige Firmen angesehen. Aber das Vertrauen, das hier bestand, hat Nick und Simone einen so großen Vorsprung gegeben, dass die Entscheidung sehr leicht fiel.

Ein passender Zeitpunkt für Veränderung: hartmann consultants befindet sich gerade ebenfalls in einem Change-Prozess…
Absolut. Es ist der richtige und der notwendige Zeitpunkt. Neue Geschäftsfelder in Beratung, Leadership Coaching und Organisationsentwicklung zu definieren, wie die Hartmanns es vorhaben, ist genau die richtige Ergänzung zum Executive Search. Denn es schafft über die Personalsuche hinaus Mehrwert für den Klienten.

Haben Sie eine Agenda für die ersten 100 Tage?
Ein Meilenstein auf der Angebotsseite ist auf jeden Fall, Leadership Coaching mit Personalberatung zu verzahnen. Mit Blick auf hartmann consultants selbst geht es darum, für unsere Transformationsaufgaben das richtige Personal zu finden und die Organisation und Unternehmenskultur weiterzuentwickeln.

„Wir werden Leadership Coaching mit Personalberatung verzahnen“

Was bedeutet das für künftige Kundenbeziehungen?
Sie werden länger und vielschichtiger. hartmann consultants ist heute schon dafür bekannt, Kandidaten nicht nur beim Klienten „abzugeben“, sondern darüber hinaus zu begleiten. Diese Begleitung wird künftig noch weiterreichen, um Veränderungen, die ein Unternehmen vor sich hat, zu meistern. Der digitale Transformationsdruck in der Branche wird die Kunst der Ambidextrie fordern. Unternehmenskulturen und Organisationsstrukturen müssen sich ändern – wir kennen die Mode- und Lifestyle-Branche so gut, gerade den Mittelstand, dass wir hier Mehrwert stiften können.

Die Kunst der Ambidextrie? Das müssen Sie bitte erklären!
Ich bin ein Kind der Kaizen-Schule aus den 70er- und 80er-Jahren. Damals habe ich mich sehr intensiv mit dem Thema Ambidextrie aus dem Toyota-Modell beschäftigt. Forschungsarbeiten von Robert B. Duncan haben mich damals begleitet und durch Michael Tushman und Charles A. O’Reilly wurde das Thema später weiter geprägt. Ambidextrie bedeutet für mich: die Fähigkeit eines Unternehmens, gleichermaßen auf die Anforderungen des operativen Geschäfts und die Erfordernisse zur Entwicklung von Innovation einzugehen.Die Kunst besteht nun darin, das operative Geschäft mit den Innovationen so eng zu verknüpfen, dass es als ein Kunstwerk betrachtet und gelebt wird.

Die Modefirmen entwickeln doch immer neue Kunstwerke?
Finden Sie? Für mich tritt der größte Teil der Branche auf der Stelle. Innovationen können doch nicht mehr in der originären Mode oder in der Form der Präsentation gesucht werden. Die Hosen, Kleider und … kennen wir doch schon alles. Das sind für mich Wiederholungen, nur etwas zeitgemäßer aufgemacht. Der Einzelhandel hat das Schaufenster auch noch nicht neu erfunden. Wir müssen technologische Produkte entwickeln und diese mit dem Kernprodukt verknüpfen.

Können Sie uns ein Beispiel mit einer möglichen Lösung geben?
Eine Innovation war zum Beispiel „Second Life“. Erinnern Sie sich an die Online-Plattform, eine digitale Welt, in der man virtuelle Showrooms bauen konnte? Da waren viele Modefirmen ganz groß – ohne irgendeine unternehmerische Nachhaltigkeit. Die Unternehmen haben diese Projekte nicht an gesonderte Innovationsgruppen übergeben, sondern an die operative Organisation. Da diese Strukturen nicht agil genug sind, werden solche Projekte erfolglos beendet und man geht zum Tagesgeschäft über.Die Modefirmen, und gerade der Mittelstand, benötigen daher dringend einen Innovation Hub, welcher in eine ambidextre Organisation eingebunden ist.

Das müssen Sie bitte genauer ausführen!
Unternehmen brauchen mehr technologie-affine Vorreiter, die die Organisation von innen heraus neu denken. Jeder sollte einen Teil seiner Arbeitszeit in Dinge investieren, die mit seinem eigentlichen Arbeit nichts zu tun haben. Es geht dabei nicht darum, konkret nach Innovationen zu suchen, sondern die Erkundung von Neuem zu forcieren – nur durch solch einen Freigeist wird die digitale Transformation, wie wir sie verstehen, gelingen.

Von welchen Unternehmen in der Branche können Modefirmen lernen?
Generell von den meisten, die als Startups neu gegründet werden. Sie haben grundsätzlich andere Organisationsstrukturen: funktional statt in Silos. Da wartet niemand darauf, bis er eine Aufgabe übertragen bekommt, wie ich es immer wieder auch bei hochrangigen Managern etablierter Marken erlebe.

„Digitalisierung verlangt weniger einen Technologie-, sondern vor allem einen Kulturwandel“

Was heißt das für die Führung in der Branche? Braucht es andere Manager? Oder andere Kompetenzen?
Wir brauchen weiterhin Menschen, die die Branche kennen und in ihr groß geworden sind. Aber sie müssen offen für Technologie sein. Und zwar nicht nur technisch, sondern durch Transformation der Organisation. Digitalisierung verlangt weniger einen Technologie-, sondern vor allem einen Kulturwandel.

Hat die Branche das erkannt?
Im Sportartikelbereich längst, im Luxussegment überwiegend. In den Bereichen darunter und im Mittelstand eher nicht.

Was heißt das für solche Unternehmen?
Kurz und schmerzvoll: dass es sie irgendwann nicht mehr geben wird.

Wie will und wird hartmann consultants hier intervenieren?
Indem wir nicht nur die richtigen Führungskräfte suchen, sondern Aufklärung leisten und helfen, Anforderungsprofile richtig zu definieren und Organisationsstrukturen darauf abstimmen. Selbst wenn ich den besten Manager von Apple an einen Klienten vermittle, wird er scheitern, wenn die Organisation nicht aufgestellt ist und es keine grundsätzliche digitale Transformationskultur gibt. Er würde den Laden einmal quer drehen, alle würden den Kopf schütteln und er wäre nach einem halben Jahr frustriert und wieder weg. So etwas möchten wir verhindern.